Zwei Generationen, zwei Stimmen, ein Lesevergnügen: humorvolle Mutter-Tochter-Geschichten, die man so noch nicht gelesen hat. Vervollständigt durch 22 fotografische Stillleben.
„BLEIB DRAN,
AUCH WENN ES ANDERS KOMMT ALS GEPLANT.“
Lido Anthony „Lee“ Iacocca
DIE WELLE
DIE HÜRDE
DIE STIMME
DIE INSPEKTION
DIE ANAMNESE
DIE ERNTE
DAS GRAFFITI
DER HOHLRAUM
DIE REGEL
DER STAU
DER SALAT
DIE SCHNEEFLOCKE
DIE KAUTION
DER DOYEN
DIE ZEITUNG
DER KATER
DER BLICK
DER BRUCH
DIE DIAGNOSE
DER SCHATZ
DIE STECKBRIEFE
Zwei Halbe sind mehr als ein Ganzes. Wenn es 1:1 steht und nicht der Stand eines Fußballspiels gemeint ist. Wenn der Top-Gun-Typ vom Kriminaldauerdienst wortwörtlich zwischen zwei Stühlen sitzt. Und wenn der Traumprinz als Eiskönigin hereinschneit. Dann kann man davon ausgehen, dass Mutter und Tochter dem Teufel des Details auf der Spur sind.
Zwei Frauen zwischen Sinnkrise und Singlebörse, Erbsensuppe und Ermittlungsarbeit. In diesen humorvollen und manchmal frech-philosophischen Kurzgeschichten treffen zwei Generationen auf den ganz normalen Wahnsinn des Alltags – mal laut, mal leise, aber immer mit Herz und Haltung. Denn zwei Halbe sind eben mehr als ein Ganzes.
DIE WELLE
Es zischte. Die Lammkoteletts fielen mit einem Schmatz in das heiße Öl der Pfanne. Lautstark schmorte das Fleisch in der Hitze. Der Dunst von Weide, Stall und Fett wallte durch die Küche.
„Vielleicht solltest du wieder die Pille nehmen.“ Meine Mutter spießte ein Kotelett auf ihre zweizackige Gabel, zog es aus dem Fett und klatschte es auf seine rohe Seite.
Ich fasste mir an den Hals und versuchte, durchzuatmen. „Hab sie nie abgesetzt“, presste ich hervor und warf zwei Messer auf den Tellerstapel.
„Jesses“, meine Mutter erhob ihre Stimme gegen die Dampfabzugshaube, „wann hattest du denn das letzte Mal Sex?“
Erhobenen Hauptes schritt ich zum Esstisch und donnerte das Geschirr darauf. „Warum können wir nicht wie alle anderen auf der Terrasse grillen?“
Meine Mutter widmete sich dem zweiten Kotelett. „Weil du jetzt schon aus allen Poren schwitzt.“
Sie zog die Pfanne vom Kochfeld und stellte die Abzugshaube eine Stufe niedriger.
Ich sackte auf einen Stuhl und entriegelte mit einer Hand unterm Tisch mein Smartphone (…)
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DIE HÜRDE
Meine beste Freundin und ich saßen am Esszimmertisch meiner Mutter und kabbelten uns um das größte Stück vom Frankfurter Kranz.
Auf ähnliche Weise hatten wir alle prägenden Lebenshürden gemeinsam gemeistert. Vom ersten Zahn bis zur letzten Abi-Prüfung.
Dann heiratete sie den Erstbesten und bekam Zwillinge. Mein Heiratsantrag endete mit der Priesterweihe der Gegenseite. Statt Zwillinge bekam ich Zweifel.
Doch heute war Mädels-Tag und die ringförmige Buttercremetorte bei meiner Mutter Pflichtprogramm. Selbst gemacht versteht sich. Wir schlemmten und tratschten. Es ging um Liebe, Leid und Tod – vorrangig anderer.
„Zumba ist deine letzte Chance“, sagte meine beste Freundin und wischte sich die Buttercreme vom Mund. „Das Training verbessert deine aerobe Kapazität, hilft dir beim Abnehmen und stärkt deine Muskelflexibilität.“
Ich zerdrückte mit der Gabel Krokant auf meinem Teller. „Wüsste nicht, dass ich etwas davon benötige.“
Meine Mutter schenkte uns Kaffee nach und grunzte. „Sie läuft nicht, sie fährt kein Rad und geht noch nicht mal im Sommer mit mir schwimmen. Obwohl die Auftriebskraft des Wassers jegliche Bewegung unterstützt. Die vom Seniorenbüro behaupten sogar, Schwimmen diene der geistigen Leistungsfähigkeit.“
„Mir mangelt es weder an Auftriebskraft noch an Leistungsfähigkeit“, entgegnete ich, sank gegen die Stuhllehne und öffnete den obersten Knopf am Bund meiner Jeans.
„Nach einem dreimonatigen Zumba Fitnessprogramm“, sagte meine Freundin und schob sich eine rot glänzende Zuckerkirsche in den Mund, „senkt sich die Herzfrequenz als auch der Blutdruck übergewichtiger Frauen.“
Ich winkte ab. „Bei mir sind Herz und Blut dank Frankfurter Kranz voll auf der Höhe.“
„Denk dran“, entgegnete sie und deutete auf meinen Hosenbund, „dass du hauptsächlich sitzend arbeitest. Frauen wie du fühlen sich durch Zumba vitaler, fitter und psychisch gesünder. Ergo, steigert es deinen Glow. Den du gut gebrauchen kannst.“ Sie zwinkerte mir zu. „Du suchst doch noch, oder?“
Bevor ich etwas entgegnen konnte, sagte meine Mutter: „Ich trainiere jedenfalls. Dadurch fühle ich mich vital und fit und kann mich vor Verehrern kaum retten. Interessiert an meiner neuen Geheimwaffe?“ (…)
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DIE ZEITUNG
Wir saßen zu dritt auf dem Sofa meiner Mutter. Sie in der Mitte, flankiert vom Top-Gun-Typ des Kriminaldauerdienstes und mir.
Gegenüber, auf einem Küchenstuhl, ein Journalist vom Typ kettenrauchender Babyboomer. Zwischen uns waberte der Duft von Bohnenkaffee. Auf dem Beistelltisch ruhte Apfelblechkuchen.
Das zugrunde liegende Ereignis: Meine Mutter stand für ein Interview zur Verfügung.
„Sie sind also Müllpatin“, stellte der Schreiberling fest, die hageren Beine krampfhaft übereinandergeschlagen.
„Ich bin die Patin“, stellte meine Mutter klar.
Der Top-Gun-Typ warf mir einen Blick zu, den ich mit einem Schulterzucken kommentierte.
„Nun“, fuhr der Schreiberling fort, „Sie führen eine Gruppe von Sauberkeitspaten an. Wie groß ist Ihr Einfluss auf die städtischen Mitarbeiter?“
„Interessant“, meine Mutter beugte sich vor, „dass ausgerechnet Sie das fragen.“
Er räusperte sich. „Ihr Motto lautet immerhin: mitmachen statt ärgern, richtig?“
Meine Mutter hob ihre Kaffeetasse und spähte über deren Rand wie ein Scharfschütze. „Meinen Sie, ich könnte meinen Ärger einfach so wegdrücken?“ (…)
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